Fallbeispiel Dylano Teil 1

 

Dylano ist ein sechsjähriger schmaler und sehr zarter Wallach, dem man seine Hannoveraner Gene nicht wirklich ansieht.

 

Seine Besitzerin ist mit den Wünschen:

 

·         besser Reiten zu lernen

 

·         die vorhandenen Probleme in den Griff zu bekommen

 

·         Pferde besser zu verstehen

 

·         und das Vertrauen zu Ihrem Pferd aufzubauen

 

an mich herangetreten.

 

 

 

Schon relativ schnell war klar, dass (ich drücke es vorsichtig aus) der Pferdekauf nicht ganz einwandfrei war. Ein Probereiten war nicht möglich aufgrund der äußeren Begebenheiten, das Pferd war zusätzlich lahm durch eine frühere Verletzung, auf Nachfragen bekam die Besitzerin jedes Mal eine andere Geschichte erzählt. Das Pferd ist seit Januar 2021 in ihrem Besitz.

 

 

 

Seine Hauptprobleme/ -auffälligkeiten sind laut Besitzerin Satteln, Aufsteigen, Hufe geben und der Termin beim Hufschmied.

 

 

 

Mir ist es wichtig, dass die Besitzer lernen Ihre Pferde richtig einzuschätzen und daher gibt es als Neukunde immer einen Fragebogen, in dem es u.a. um die Ziele, das Training/ den Trainingsaufbau und die Beziehung zum eigenen Pferd und dessen Einschätzung geht.

 

 

 

Ich würde Dylano wie folgt beschreiben:

 

-       hypersensibel und extrem fein

 

-       sehr nervös

 

-       explosiv

 

-       Neigung dazu den Reiter abzuschmeißen, zu Steigen oder sich loszureißen

 

-       misstrauisch und ängstlich

 

-       schreckhaft

 

-       sehr neugierig (was sehr positiv ist)

 

-       trotz allem menschenbezogen

 

-       lernt sehr schnell

 

 

 

Es ist vorerst erstmal nicht an „Reitunterricht“ im herkömmlichen Sinne zu denken, sondern an Verhaltenstherapie & -training, um die bestehenden Probleme lösen zu können.

 

Wir wissen sehr wenig über seine Vorgeschichte, nur dass er mit seinen sechs Jahren aktiv im Springsport tätig war und sich dabei irgendwie am Hinterbein verletzt haben muss. Im Verkaufsstall stand er längere Zeit in der Box, da man nicht mehr so recht mit ihm umzugehen wusste.

 

 

 

Laut Besitzerin ist er sehr schreckhaft, alles, was er nicht kennt, macht ihm Angst, allein vom Stall gehen ist schwierig, er ist unruhig im Maul und er läuft nicht über Stangen, hat sogar große Angst vor nur am Boden liegenden Cavaletti.

 

 

 

Im Anamnese-Gespräch zeigte sich die Schwere dieser Problematiken.

 

 

 

Das Geben der Hinterhufe insbesondere des ‚verletzten‘ Hinterbeins ist unmöglich. Die einzige Möglichkeit den Huf auszukratzen ist, mit einem Seil das Bein anzuheben. Seine Reaktion auf jede Bewegung in Richtung seines Hinterbeines werden mit starkem Ausweichen über Meter beantwortet.

 

Seine Unsicherheit, Sorgen und Ängste in Bezug auf sein „verwundetes“ Bein verhindern ein Stehen bleiben. Druck und Strafe sind hier fehl am Platz! Dieses Verhalten ist ein ganz natürliches Verhalten und gibt mir erst einmal nur Informationen. Schmerzen (gespeichert im Schmerzgedächtnis oder akut) oder ein schlechtes ‚Handling‘ bei der Versorgung seiner Verletzung müssen zu dieser gespeicherten (in unseren Augen übersteigerten) Reaktion geführt haben. Solche Reaktionen festigen sich von Mal zu Mal und je häufiger sie wiederholt werden, desto stärker wird das Verhaltensmuster.

 

 

 

Ein weiteres Problem stellt das Satteln des Pferdes dar.

 

Nur das in die Nähe kommen mit einem Sattel oder Reitpad löst Angst aus. Ich muss sagen, ich habe noch kein Pferd gesehen, das so Angst vor dem Sattel hat, dass es sich losreißt. Seine Antwort auf etwas was ihm Angst macht, ist die Gleiche. Starkes Ausweichen bis hin zum Losreißen. Nur ein Schritt oder eine Bewegung über seine Toleranzschwelle und er weicht aus und hält nicht mehr an. Auch hier stellt sich wieder die Frage nach dem Warum?

 

Schmerzen verursacht durch einen unpassenden Sattel? In der Vergangenheit oder der Gegenwart? Schmerzen verursacht durch den Menschen? Schlechte Erfahrungen beim Reiten? Oder ihm hat nie jemand wirklich erklärt, dass man davor keine Angst haben braucht.

 

 

 

Das andere, für einen Reiter, schwerwiegende Problem ist, dass Daylano niemanden aufsteigen lassen will und dies mit dem bekannten Muster.
Ausweichen, ausweichen und wer hätte es gedacht, ausweichen. Das Ganze geht so weit, dass die Besitzerin eine halbe Stunde früher, wie alle anderen beginnt aufzusteigen damit sie dann mit den anderen Reiten gehen kann. Die Angst vor dem Reiten entsteht aus fast den gleichen Gründen, wie die Angst vor dem Satteln. Schmerzen, traumatische Ereignisse oder schlechte Erfahrungen sind häufig die Auslöser für ein solches Verhalten. Dazu kommt noch eine mangelnde Balance des Pferdes mit Reiter. Das Ausscheren der Hinterhand beim Aufsteigen oder an der Aufstiegshilfe ist eines der häufigsten Symptome bei Angst vor dem Aufsteigen oder Reiten, deren Ursachen in den oben angegebenen Problematiken liegt. Dabei muss dann noch differenziert werden, ob die Angst nur das Aufsteigen oder wirklich das Reiten betrifft.

 

 

 

 

 

Schritt für Schritt nehmen wir Dylano die Angst vor bekannten und auch unbekannten Situationen.

 

 

 

Es mir noch wichtig zu erwähnen, dass Dylano in therapeutischer Behandlung ist, sein Bein wurde geröntgt, der Sattler kommt und er erhält in naher Zukunft eine Zahnbehandlung.

 

Zusätzlich zu den o.g. Empfehlungen bekommt er nun einen Magnesium-Vit B-Komplex zugefüttert, Bachblüten zur Entspannung und geht regelmäßig auf die bis dato gehassten und jetzt geliebten Balance Pads. Mir ist es besonders wichtig, dass nach seinen Zähnen geschaut wird. Neben den normalen Auswirkungen schlecht gemachter/ gar nicht gemachter Zähne, habe ich sehr viele Erfahrungen über den Zusammenhang von Zähnen und Psyche gesammelt. Mangelhafte Zahnbehandlungen können beim Pferd zu Nervosität und Unsicherheiten führen, sogar zu impulsiven Handlungen und Ängsten.

 

 

 

Ich denke, dass dieses Pferd gute Chancen hat, über seine Problemchen bzw. schlechten Erfahrungen hinwegzukommen. Er wird pferdegerecht gehalten, bekommt sinnvolles Futter und hat eine Besitzerin, die bereit dazu ist in seiner Geschwindigkeit zu arbeiten und ihm somit zu helfen.

 

 

 

 

 

 

 

Was passiert jetzt also?

 

Es ist natürlich sehr wichtig, dass die Besitzerin ihr Pferd täglich optimal versorgen kann und deshalb hat die Pflege der Hufe Priorität.

 

Bevor es also ans Reiten geht, muss an den grundlegenden Dingen gearbeitet werden.

 

 

 

 

 

 

 

An oberster Stelle stehen die Körpersprache und Kommunikation.

 

Hierzu gibt es keine Schritt-für-Schritt-Anleitung, das hat viel mit Gefühl und Einschätzen einer Situation zu tun. Neben Grundkenntnissen über Pferdeverhalten und einem Fahrplan für die nächsten Wochen ist es nun die Aufgabe eines Pferdebesitzers individuell die ‚Grenzen‘ des Pferdes herauszufinden.

 

In welchem Rahmen kann ich mich bewegen, ohne dass ich ein bestimmtes Verhalten triggere?

 

Welches Verhalten zeigt mein Pferd wann?

 

Was verunsichert mein Pferd?

 

Wo fängt Kommunikation an?

 

Was mag mein Pferd gerne?

 

 

 

Ich bin mir sicher, dass die beiden eine wunderbare Zeit vor sich haben und schon sehr schnell große Erfolge verzeichnen können.

 

Ich werde euch demnächst von den Fortschritten und dem Training von Dylano berichten.

 

 

 

Sarah